Interview: interkulturelle kirchliche Jugendarbeit

„Interkulturell ausgerichteter kirchlicher Jugendarbeit eine echte Chance geben“

Im Interview spricht der Schweizer Theologe Prof. Salvatore Loiero – einer der Hauptreferenten der Fachtagung „Interkulturelle und interreligiöse Öffnung in der Jugendarbeit“ am 6. und 7. Februar in Essen – über die Herausforderung eines zukunftsfähigen Profils kirchlicher Jugendarbeit.

„Einander in der Würde des Anders-Seins wahrzunehmen und miteinander aus dem Recht auf das Anders-Sein eine gemeinsame Pluralität von Lebens- und Glaubens-wirklichkeiten zu gestalten“ – darin liegt für den Schweizer Theologen Prof. Salvatore Loiero die Herausforderung eines zukunftsfähigen Profils kirchlicher Jugendarbeit. Vor der Fachtagung „Interkulturelle und interreligiöse Öffnung in der Jugendarbeit“ am 6. und 7. Februar in Essen, auf der Loiero als einer der Hauptreferenten spricht, wirbt er im Interview für inhaltliche und strukturelle Neuausrichtungen der Jugendarbeit.

 

Herr Professor Loiero, die kirchliche Jugendarbeit in Gemeinden und Verbänden ist seit vielen Jahrzehnten eine wichtige Säule der Jugendarbeit vieler Kommunen – warum sollen sich diese Angebote nun neuen Zielgruppen öffnen?

Salvatore Loiero: Wenn in der kirchlichen Jugendarbeit immer und ausschließlich der einzelne junge Mensch mit seiner ganzen Lebens- und Glaubenswirklichkeit im Mittelpunkt steht, dann sind inhaltliche wie strukturelle Neuausrichtungen in der kirchlichen Jugendarbeit eigentlich selbstverständlich. Das hat nicht nur damit zu tun, dass in einer globalen und digitalen Welt, wie der unsrigen, die Lebens- und Glaubenswirklichkeiten stetigen Veränderungsprozessen unterliegen. Das hat auch und vor allem mit einer theologischen Grundüberzeugung zu tun, die, mit Christoph Theboald ausgedrückt, der „zweckfreien Pastoral Jesu“ folgen will. Zweckfrei bedeutet hier, das Interesse an Anderen konsequent subjektorientiert und situationsoffen zu verstehen und so auch den jungen Menschen im Kraftfeld des Evangeliums dort zu begegnen, wo sie sich gerade in ihrer Lebens- und Glaubenswirklichkeit befinden. Hieraus ergibt sich sozusagen auch ein Anspruch an die kirchliche Jugendarbeit, sich immer wieder neu den Lebens- und Glaubenwirklichketen junger Menschen auszusetzen und sich von ihnen produktiv-kritisch verändern zu lassen. So wird das neue nicht einfach ein „Plus“ zu Bestehendem, sondern es wird grundsätzlich zum projekt- und angebotsleitenden Movens – inhaltlich wie strukturell.

 

Wie können sich katholische Jugendangebote für Jugendliche mit anderen kulturellen Hintergründen öffnen ohne ihr eigenes Profil zu verlieren?

Loiero: Ich bleibe zuerst einmal beim Wort „anders“ hängen. Ich verstehe dieses „anders“ als Chance, festgefügte und trennende Wir-Ihr-Verständnisse überwinden, und prospektiv vermeiden zu helfen. Denn im Gegensatz zu trennenden „Wir-Ihr-Muster“ verbindet ein gemeinsam reflektiertes und erfahrenes „Anders-Sein“ die verschiedensten Lebens- und Glaubenswirklichkeiten. Einander in der Würde des Anders-Seins wahrzunehmen und miteinander aus dem Recht auf das Anders-Sein eine gemeinsame Pluralität von Lebens- und Glaubenswirklichkeiten zu gestalten, darin liegt meines Erachtens die Herausforderung eines zukunftsfähigen Profils kirchlicher Jugendarbeit. Ein Profil, dass sich dann auch von keinen Verlustängesten leiten lassen muss. Denn eine so ausgerichtete kirchliche Jugendarbeit sieht in der Verscheidenheit kultureller Hintergründe nichts Bedrohliches oder Exotisches, sondern eine selbstwirksame Bereicherung und Weitung ihres Selbst als Raum und Anwältin von integralen Lernprozessen eines verbindenden Anders-Sein.

 

Wie wollen Sie auf der Fachtagung gerade kirchliche Akteure ermutigen, künftig mehr Angebote zu schaffen, bei denen sich Jugendliche mit verschiedenen religiösen und kulturellen Hintergründen treffen?

Loiero: Ich kann nicht beurteilen, ob es mehr Angebote geben sollte, denn ich kenne die Fülle der Angebote nicht. Was mir wichtig wäre: dass ich bei den Teilnehmer:innen Denk- und Diskursprozesse anstoßen kann, die einer interkulturell ausgerichteten kirchlichen Jugendarbeit eine echte Chance geben. Interkulturell meint ja nicht multikulturell. Denn das Multikulturelle zielt insbesondere auf neue Kulturen eines Miteinanders, das sich als bewussteres und wertschätzenderes Nebeneinander realisiert. Interkulturalität zielt hingegen auf ein Miteinander, bei dem sich die involvierten Diskurspartner:innen, gleich welcher kultureller und/oder religiöser Hintergründe, selbstwirksam verändern lassen. Eine interkulturell ausgerichtete kirchliche Jugendarbeit, die differenzsensible Denk-, Sprach und Handlungsoptionen generieren und gestalten lässt, darin sehe ich ihr großes Potential – und hierfür möchte ich werben. (tr)